Die Weiterbildung zum Genesungsbegleiter
Die Weiterbildung zum Genesungsbegleiter soll es psychiatrie-erfahrenen Menschen ermöglichen, ihre spezifischen Erfahrungen möglichst ressourcen-orientiert zu reflektieren und darauf aufbauend entsprechendes Experten-Wissen zu erlangen. Durch eine vertiefte Auseinandersetzung (basierend auf der Methode vom "Ich-Wissen" über das "Du-Wissen" zum "Wir-Wissen") wird in dieser Weiterbildung die Vernetzung von Erfahrungs-Wissen und Fachkenntnissen gezielt gefördert. Die Weiterbildung umfasst 12/13 Module (+/- 1 pro Monat), zwei Praktika zu 40 bzw. 80 Stunden (EX-IN Kanton Bern + DE) bzw. 40 + 150 Stunden (EX-IN Schweiz) in zwei verschiedenen psychiatrischen Einrichtungen und rund 300 Stunden Selbststudium (inkl. das Verfassen des Portfolio).
Die 12/13 Module behandeln die folgenden Themen:
Basis-Module:
1) Gesundheit & Wohlbefinden (Salutogenese)
2) Empowerment (Selbstbefähigung)
3) Erfahrung & Teilhabe
4) Trialog (Betroffene, Angehörige & Fachpersonen)
5) Recovery (Gesundung)
Aufbau-Module:
6) Selbsterforschung
7) Beraten und Begleiten
8) Assessment (Ganzheitliche Bestandesaufnahme)
9) Lehren & Lernen
10) Krisenintervention (Krisenbegleitung)
11) Psychiatrie & Rechte (nur CH | DE: Fürsprache)
12) Fit für die Arbeit (nur EX-IN Schweiz)
Abschluss (Abschlusspräsentationen; kein fachlicher Inhalt)
Damit sind die Teilnehmenden in der Lage, Erfahrungen und Ressourcen gewinnbringend einzusetzen. Dies u.a. bei der Arbeit mit Einzelpersonen, in Teams, in der Forschung sowie auch bei Aus- & Weiterbildungen.
In der Schweiz führen aktuell (Herbst 2023) der Verein Ex-In Schweiz und EX-IN Kanton Bern die Weiterbildung durch.
"Im Mittelpunkt der Ex-In Weiterbildung [Ex-In steht für Experienced Involvement und meint den Einbezug von Betroffenen] steht nicht wie bei vielen anderen Bildungsangeboten die Vermittlung, sondern die Entwicklung von Wissen" (Utschakowsky et al., 2016, S. 109).
Während der Ex-In Weiterbildung wird durch das "Mit-Teilen" und die kritische Reflexion der persönlichen Erfahrungen das individuelle Wissen fassbar gemacht - das sogenannte "Ich-Wissen". Im Austausch mit den anderen Kursteilnehmern wird daraus ein "Du-Wissen" und
schlussendlich ein "Wir-Wissen" erarbeitet. "Wir-Wissen" umfasst nicht nur das gemeinsam Erfahrene wie Stigmatisierung, Erschütterung, Konfrontation mit Zwängen usw., sondern auch das gemeinsam Verstandene. "Wir-Wissen" ist wichtig, um die eigenen Erfahrungen nicht zu
generalisieren und um zu verhindern, dass (unerfüllte) Sehnsüchte und Wünsche auf Andere übertragen werden. "Wir-Wissen" ist die Wissens- und Handlungsgrundlage der (formell tätigen) Experten durch Erfahrung (Peer-Arbeitenden) (Utschakowsky et al., 2016, S. 87).
Quelle: Utschakowsky, J. et al. (2016). Experten aus Erfahrung - Peerarbeit in der Psychiatrie. Köln: Psychiatrieverlag
Was macht ein Genesungsbegleiter genau?
Eine oft gestellte Frage. Ein Genesungsbegleiter lebt(e) mit einer psychischen Beeinträchtigung und hat die tiefe(n) Krise(n) überwunden. Es gibt Genesungsbegleiter, die wieder "gesund" werden und solche, die einen Umgang mit ihrer psychischen Beeinträchtigung gelernt haben - sie haben Skills entwickelt. Die oben beschriebene Weiterbildung wird von vielen potentiellen Arbeitgebern vorausgesetzt. Der Hauptgrund dafür dürfte wohl sein, dass man wohl seine eigene Krise überwinden kann und den Umgang mit z.B. Burn-Out und Depression (in meinem Fall) erlernen kann, über die weiteren gängigen Diagnosen aber praktisch nichts weiss. Unter Anderem diese "Wissens-Lücke" schliesst die Weiterbildung.
Wie sehen die Aufgabengebiete eines Genesungsbegleiters aus?
Ich sehe mich in meiner Arbeit als eine Art <Sparring Partner> für die Patienten. Und das insofern, als dass ich mich zur Verfügung stelle, damit die Patienten ihren Bedürfnissen wie z.B. einem Spaziergang, einem Krisengespräch oder ein Spiel zu spielen nachgehen können. Manchmal werde ich auch gebeten, meine Geschichte zu erzählen. Und jede Akut-Station hat einen "geschlossenen" Teil, so gibt es immer wieder Menschen, die begleitet werden müssen, wenn sie in der Klinik-Kantine etwas kaufen möchten.
In der eigentlichen Arbeit des Genesungsbegleiters sehe ich die folgenden Hauptfelder:
*) Begleitung von Betroffenen und oder Angehörigen
*) Unterstützung / Fürsprache bei Gesprächen von Betroffenen mit Fachpersonen und/oder Angehörigen
*) Einsätze / Auftritte zur Entstigmatisierung psychischer Beeinträchtigungen
Last but not least wirken Genesungsbegleiter durch das gezielte Einbringen ihrer Erfahrungs-Perspektive auch aktiv an der Weiterentwicklung der Angebote in der Psychiatrie mit. In diesem Zusammenhang ist es mir basierend auf meinen eigenen Erfahrungen ein grosses Anliegen, die Patienten möglichst personenzentriert (und somit Bereichsübergreifend) und ihren Bedürfnissen entsprechend individuell begleiten zu können.
Wichtig zu wissen, dass Genesungsbegleiter eine gute Ergänzung im therapeutischen Setting sein können, aber keine der bestehenden Disziplinen ersetzen kann!
Kümmere dich darum, was andere Leute denken, und du wirst immer ihr Gefangener sein.
LAOZI